Intertheatralität. Paradigmatische Adaptionen von Theatertechniken in Kunst und Literatur während der Frühen Neuzeit
Das Hauptthema der Konferenz sind die vielfältigen und vielschichtigen Wechselverhältnisse zwischen den frühneuzeitlichen Ausprägungen der Theaterpraxis und nicht-theatralen Kunstformen, sowie weiteren kulturellen Bereichen und performativen Praktiken, darunter liturgische und karnevaleske Handlungen. Konkret soll dabei in den Fokus gerückt werden, inwiefern ‚theatrale Denkformen‘ und Strukturen in andere Kontexte übernommen werden. Derartige Adaptionen zeigen sich als theatrale Text- und Bildinszenierungspraktiken sowie als Kompositions- und Organisationsprinzipien, etwa bei der Gestaltung von Auftrittsszenen, der Handlungsdramaturgie, der Figurenkonstellation, der Szeneneinteilung und der Aufmerksamkeitsökonomie.
Zugleich lassen sich derartige Prozesse auch in umgekehrter Stoßrichtung beobachten, wenn nicht-theatrale Kontexte in das Theater hineinwirken, etwa wenn medizinisches, naturphilosophisches oder technologisches Wissen in Drameninhalte und/oder theatrale Praxis einfließt. Diese reziproken Transfer- und Adaptionsbewegungen fassen wir unter dem Begriff der Intertheatralität. Dabei adaptieren wir das bisher weitestgehend im Bereich der Literaturwissenschaften beheimatete Konzept der Intertextualität und seine auf Bildwerke transferierte Spielart der Interpikturalität für den Bereich der Bühnenkünste und ihrer Überschneidungen mit anderen Kunstformen und Kulturbereichen. Konstitutiv für die Intertheatralität als Denkfigur sind intermediale Konstellationen, denn sie beschreibt nicht bloß etwa Bezugnahmen eines Textes auf andere, sondern solche, die Mediengrenzen überschreiten, wie das Verhältnis von Text zu Bild, aber auch zu anderen ästhetischen Formen und performativen Praktiken. Ebendiese transdisziplinären Intersektionen, deren Vielfalt und Komplexität in der Forschung bis dato noch nicht umfassend beleuchtet wurde, sollen nun verstärkt fokussiert werden.
Beispielhaft ließe sich etwa die Adaption genuin theatraler Figuren, wie etwa der Masken der Commedia dell‘Arte in Text und Bild erwähnen, die oftmals mit einer Übernahme der kombinatorischen Repertoire-Logik dieser Theaterform in den neuen Kontext einhergeht. Die Reziprozität solcher Adaptationsprozesse lässt sich an diesem Beispiel ebenfalls gut veranschaulichen, denn es ist davon auszugehen, dass die so entstandenen Bilder und Texte wiederum rückwirkend die Figuren sowie ihre szenischen Interpretationen mitformten, etwa wenn sie in Folge als scheinbare Zeugen einer per se ephemeren Bühnenpraxis rezipiert werden.
Eine weitere Adaption theater-fremder Techniken in Theaterkontexte hinein können Frontispize veranschaulichen, mit denen in der frühen Neuzeit gedruckte Dramentexte eröffnet wurden. Solche Titelkupfer präsentieren die Texte von vornherein als Bühne, vor denen das Frontispiz gleichsam den Vorhang hebt und den Einstieg vorgibt. Ein solches theatrales ‚Framing‘ erzeugt konkrete Erwartungen beim Leser, die dann jedoch häufig nicht erfüllt, sondern gebrochen werden. Theatrale Techniken organisieren also zum Einen die Texte oder Bilder und steuern zum Anderen die Aufmerksamkeit bei der Textlektüre, sie prägen die Imagination und haben eine erkenntnisleitende Funktion. Texte und Bilder erscheinen nun als Ideenbühnen, die Spielräume für neue Wissensordnungen eröffnen, aber auch als Schule der Verstellung, der Affektkontrolle, der Manipulation, der Täuschung.
Ziel der Konferenz ist es, die große Bandbreite intertheatraler Adaptions- und Transferprozesse in der Frühen Neuzeit aufzuzeigen und deren Untersuchung zu vertiefen. Explizit erwünscht sind dabei Beiträge, die diesem Phänomen in den diversen Sphären frühneuzeitlicher Kunst, Literatur und Kultur nachspüren, die von der Gartenkunst zur Musik, von liturgischen zu höfischen Inszenierungen, vom theatralen Porträt zur politischen Satire, und auch weit darüber hinaus reichen können.