1933: die »Zerstörung der deutschen Literatur« ̶ Maßnahmen, Verfahrensweisen, Beuteakten

31. Oktober 2025

Seit Oktober 2025 Kooperationsprojekt: SRC Text Studies, IISG Rom

Hintergrund

Im Jahr 1956 erschien in der Schweiz Walter Muschgs Aufsatz über die Zerstörung der deutschen Literatur, der die »Verschüttung einer ganzen geistigen Generation« durch den Nationalsozialismus anprangerte. Diese Verschüttung erfolgte durch Ächtung von Autoren, Auslöschung von Namen und Vernichtung von Menschen und Dokumenten. Sie bereitete einer langen Entwicklung der deutschen Literatur das Ende, aber auch einem Literaturpublikum und einem erfolgreichen, von großen Verlagshäusern geprägten Literaturmarkt.

Das Jahr 1933 markiert die entscheidende Trennungslinie, auf die sich die Augen des Forschers richten müssen.

Über die persönlichen Schicksale von einzelnen Autoren der sog. verlorenen Generation ist man inzwischen gut informiert, doch immer wieder tauchen andere unbekannte und vergessene Namen von verfolgten, vertriebenen und exilierten Autor/Innen auf, deren Bedeutung man erst heute zu würdigen beginnt.

Anders steht es aber mit den Manuskripten und den hinterlassenen Werken der ausgebürgerten, verbannten und ermordeten Autor/Innen. In der allerersten Phase, vor dem Entstehen des inkriminierte literarische Dokumente systematisch aufspürenden und verwaltenden Riesenapparats des nationalsozialistischen Systems, kam es zu vielen unkoordinierten spontanen Vernichtungs- und Beschlagnahmungsaktionen, bei welchen die erbeuteten Dokumente häufig nicht ordentlich erfasst und registriert wurden.

Über die Entscheidungen, über die bürokratische Verfahrensweise, die zu der Beschlagnahmung bzw. Vernichtung der literarischen und persönlichen Dokumente der verfolgten Autoren führten, herrscht noch immer wenig Klarheit. Zwar sind die Makrostrukturen des Entscheidungssystems und einzelne, wenig repräsentative Fälle (Th. Mann, Barlach…) bekannt, für den überwiegenden Teil der beschlagnahmten und bis heute verschollenen Manuskripte liegt es jedoch vollkommen im Dunkeln, was mit ihnen geschehen ist: Wo landeten die beschlagnahmten Manuskripte? Wie wurden sie aufbewahrt? Wer und was entschied über ihre sehr unterschiedlichen Schicksale? …

 

Schritte

  • Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem IISG und dem SRCTS hat sich ein aus Historikern, Literaturwissenschaftlern und Archivaren zusammengesetztes, interdisziplinäres italienisch-deutsches Forschungsteam formiert, das die relevanten Bestände identifiziert und sucht. Dabei wird es die folgenden Fragen zu klären versuchen:

 

  • Welche Wege nahmen die von den NS-Verfolgungsbehörden (insbesondere der Gestapo) bei Haussuchungen oder nach der Flucht politisch und/oder rassisch Verfolgter beschlagnahmten Wertgegenstände, persönlichen Unterlagen, Manuskripte und Dokumente?

 

  • Nach welchen Kriterien verblieben die obengenannten Gegenstände definitiv in den Händen der Verfolgungsbehörden und jener Institutionen, die deren Akten heute verwalten, oder wurden später dem legitimen Inhaber zurückgegeben?

 

  • Welche Unterlagen dieser Art finden sich etwa im Archiv der IX/11 im Kontext der »Traditionspflege« des MfS?

 

  • Was geschah mit den seit Mitte der 1950er Jahre von der Sowjetunion an DDR-Archive zurückgegebenen Beute-Akten bzw. -Archiven?

 

  • Nach welchen Kriterien wurden diese Archive auf Staatsarchiv, Parteiarchiv, MfS-Archiv aufgeteilt?
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Die Forschungsgruppe setzt sich zusammen aus:

 

Bernd-Rainer Barth (Historiker, Berlin)
Luca Crescenzi (Direktor des IISG, Rom)
Massimiliano De Villa (Trento)
Stefano Franchini (Rom)
Elisabeth Galvan (Neapel)
Christoph Geis
Hans-Gerd Koch (Köln/Berlin)
Sabine Schild-Vitale (Berlin)
Giovanni Sampaolo (Rom)
Claus Zittel (Direktor des SRC Text Studies, Stuttgart/Venedig)
Matteo Zupancic (Pisa)

1933: die »Zerstörung der deutschen Literatur« ̶ Maßnahmen, Verfahrensweisen, Beuteakten

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